Anfänge der Kolonisation

Der Bau des Oste-Hamme-Kanals

In den 1770er Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt der Kolonisationsarbeit, die im Teufels­moor nördlich von Bremen begonnen hatte, in das Bremervörder und das Gnarrenburger Moor. Der Siedlungsbeginn in den Mooren des Amtes Bremervörde stand in engem Zusammenhang mit dem Bau des Oste-Hamme-Kanals. Bereits 1749 war von der Regierung der Bau eines Kanals zwischen Oste und Hamme in Erwägung gezogen worden, mit dem Ziel, durch ihn eine Verbindung zwischen Elbe und Weser herzustellen und damit den Handel zwischen Hamburg und Bremen auch auf dem Wasser­weg zu fördern. Da für eine ausreichende Nutzung des Kanals durch die Schiffahrt jedoch auch entsprechend hohe Kosten erforderlich gewesen wären, ließ man den Plan wieder fallen. Gegen Ende der 1760er Jahre griff Findorff den Plan wieder auf und führte ihn weiter aus. Während das frühere Projekt in erster Linie wirtschaftliche Zwecke verfolgte, berücksichtigte Findorff vor allem die Notwendigkeiten der Kolonisation. Für ihn kam es darauf an, den Kanal durch solche Moorgegend zu führen, in der eine Ansiedlung von Bauern besonders günstig erschien, und in der der Kanal als Verkehrsweg und zur Entwässerung des Moores dienen sollte. 1769 wurde mit dem Bau des Kanals, der eine Länge von 16 km haben sollte, begonnen.
Am Kolbeck, einem kleinen Nebenfluß der Hamme – an der Kreuzkuhle im heutigen Kolheim -, fing man mit den Aushebungsarbeiten an und führte sie fort in Richtung Bremervörde bis zur Oste bei Spreckens. Findorff, der mit der gesamten Planung und Leitung der Kanal­arbeiten beauftragt war, arbeitete mit dem vollen Einsatz seiner Kräfte. Trotzdem dauerte es bis zur Fertigstellung des Kanals viele Jahre, in denen es immer wieder Schwierigkeiten zu überwinden galt. Eine der größten Schwierigkeiten bestand darin, daß beim Ausheben einer tiefen Kanalrinne der weiche Moorboden vom Ufer ständig nachsackte, so daß es unmöglich war, gleichzeitig in einem Arbeitsgang die vorgesehene Tiefe und Breite des Kanals zu erreichen. So plante Findorff zunächst eine geringere Tiefe, die in den folgenden Jahren immer wieder nachgegraben wurde, bis der Kanal die gewünschten Ausmaße – eine Tiefe von etwa 4 m und eine Breite von etwa 3 m – besaß. Neben der Arbeit am Kanal bemühte sich Findorff um die Anlage neuer Dörfer entlang der Kanallinie. Die Bauern der neuen Siedlungen stellte er beim Kanalbau ein, um ihnen die Möglichkeit zu geben, etwas bares Geld in den schweren Anfangsjahren zu verdienen. Im Jahr 1778 war der Kanal vom Kolbeck bis Gnarrenburg fertiggestellt und konnte in Betrieb genommen werden. Das Kanalstück zwischen Gnarrenburg und Bremervörde wurde in den folgenden Jahren ausgebaut. Am 15. März 1790 fuhren die Findorf er als erste auf dem Kanal nach Bremervörde, auf Schiffen, die sie sich durch die Arbeit am Kanal verdient hatten. Sie besaßen zu jener Zeit bereits 9, die Kolheimer 3 Schiffe. In einem Schreiben aus dem Jahr 1792 – seinem Todesjahr – äußerte sich Findorff zur Fertig­stellung des Oste-Hamme-Kanals: „Auch im verwichenen Sommer ist der Holzhandel gleich dem vorigen Jahre auf dem Schiff-Canal zwischen Oste und Hamme betrieben, indem an die 400 Faden Brenn­holz von Gnarrenburg nach Bremervörde verschiffet sind, und dieser Holz-Transport würde noch weit beträchtlicher gewesen sein, wenn er nicht durch die Graben­arbeiten im Canal während den Sommermonaten hätte unterbrochen werden müssen. Es hat also wohl keinen Zweifel mehr, daß mit der Zeit nicht diese Wasserfahrt für die (vor der) zu Lande den Vorzug gewinnen werde: nur hat man jetzt darauf zu denken, solche Fahrt für größere Schiffsgefäße nach und nach brauchbarer und bequemer zu machen. Brauchbarer durch fernere Erweiterung des Canals für größere Fahrzeuge, die 4000 Pfund laden, und bequemer durch wiederholte Vertiefungen desselben und der damit verbundenen Verminderung der Stauschütte, als welche dem geschwinden Fortgang der Schiffahrt sehr entgegen sind und jährlich neue Reparationskosten veranlassen.“2) Nach Findorffs Tod, gegen Ende des 18. Jahrhunderts, erlitt die Schiffahrt auf dem Oste-Hamme-Kanal einen Rückschlag. Der Kanal wurde ausbesserungsbedürftig und konnte wegen Wassermangels von größeren Schiffen immer schlechter befahren werden. Erst 1828 wurde er von dem Moorkommissar Claus Witte verbessert und für Halbhuntschiffe fahrbar gemacht. (Hunt – Bremer Torfmaß [„hundert Körbe“]: 12 m3.) In den folgenden Jahren wurde er verbreitert und vertieft und vom Kolbeck bis Gnarrenburg mit 9 Doppelschleusen und von Gnarrenburg bis Bremervörde mit 20 Klappstauen, einer Erfindung Wittes, versehen. Der Oste-Hamme-Kanal spielte nie eine große Rolle in der Handelsschiffahrt zwischen Bremen und Hamburg, aber er erfüllte eine wichtige Aufgabe für den örtlichen Verkehr. Seine Bedeu­tung als Verkehrsweg verlor er allmählich mit dem Ausbau eines immer leistungsfähigeren Straßen- und Schienennetzes in unserem Jahrhundert.

©1981 – Werner Quell

Die Wirtschaftlichen Anfänge

Die Anfangsjahre der Siedler waren hart und mühsam, und ihre wirtschaftliche Lage war alles andere als einfach. Um ihnen den schweren Beginn etwas zu erleichtern, gab ihnen die Regierung einige Start­hilfen. So wurde den Siedlern das nötige Bauholz für ihre Hütten zur Verfügung gestellt, das sie jedoch selbst von der Geest ins Moor bringen mußten. Um einige Bäume rings um ihren Hof anpflanzen zu können, erhielten sie Kiefer- und Birken­samen, junge Obstbäume aus den Gärten von Hannover-Herrenhausen und für den Beginn mit der Landwirtschaft einen Malter Roggen zur ersten Aussaat. (Malter: früheres Hohlmaß für Getreide, etwa 150 I.) Für die Kolonisten war es ein Vorteil, daß sie in den ersten Jahren – als aufgrund eines geringen Viehbestandes und fehlender Weideflächen es am nötigen Dünger für die Feld­bestellung mangelte – dem Moorboden durch die Brandkultur einen Ertrag abringen konnten. Dazu wurde im späten Herbst nach dem Mähen des Heidekrautes die oberste Schicht des Moorbodens abgeplaggt. Die abgestochenen Plaggen wurden über Winter zum Trocknen aufgestellt und im Frühjahr in Brand gesteckt. In die gleichmäßig über das Feld verteilte Asche wurde dann das Getreide, vor allem der Buchweizen, gesät. Da es Jahre brauchte, ehe aus der Landwirtschaft im Moor erste Gewinne erzielt werden konnten, gewährte die Regierung den Anbauern einige Freijahre, in denen sie keine Abgaben für die erworbenen Moorstellen zu zahlen brauchten. Die Findorfer und Koiheimer Anbauern bekamen 12 Freijahre, nach deren Ablauf sie einen Zins zu entrichten hatten. Die Freijahre begannen für Findorf und Kolheim im Mai 1784. Im Jahr 1830 belief sich der Zins auf etwa 10 Taler pro Anbaustelle. Zu der Zeit waren von den insgesamt 1894 Morgen ausgewiesenen Moorlandes 139 Morgen zu Ackerland und 62 Morgen zu Wiesenland umgewandelt worden. Der Viehbestand in beiden Dörfern betrug 2 Pferde, 117 Stück Rindvieh und 87 Schafe. Eine weitere Maßnahme der Regierung, die Siedler in der Anfangszeit zu unterstützen, bestand darin, ihnen Gelegenheit für einen Nebenerwerb zu geben. Die Hauptdämme, Abwässerungsgräben, Schiffskanäle und Brücken, die die Voraussetzung für den sofortigen Beginn einer Moorkultivierungsarbeit durch die Anbauern war, wurden auf Staatskosten fertiggestellt. Die siedlungswilligen Leute wurden zu den notwendigen Arbeiten herangezogen und mit barem Geld entlohnt. Die Findorfer und Koiheimer konnten ihr Geld auch durch die Arbeit beim Bau des Oste-Hamme-Kanals verdienen. Ebenso war auch der Torfverkauf als wichtiger Nebenerwerb für die Anfangszeit geplant gewesen. Mit seiner Hilfe sollten sich die Anbauern Geld verdienen können für Nahrungs­mittel, zusätzliches Viehfutter oder für die Pacht von Geestweiden. Die Kultivierung des Moorlandes war mühsam und schritt nur langsam voran. Zu den schwierigsten und langwierigsten Aufgaben gehörte die Kultivierung von Weideland, da es nur auf dem abgetorften Moor gewonnen werden konnte. Durch den Torf verkauf kamen die Moorbauern schneller zu Geld, und obwohl Jürgen Christian Findorff davor gewarnt hatte, den Torfstich zu intensiv zu betreiben, da sonst die Kultivierung des Moorbodens vernach­lässigt werde, entwickelte sich der Torfstich und -verkauf im Laufe der Jahre über längere Zeit bald zur Haupteinnahmequelle der Moorbauern. Absatzort für den Findorfer und Koiheimer Torf war die Stadt Bremen, wo seit jeher der Torf als wichtiges Brennmaterial gebraucht wurde. Dort hatten die sogenannten „Eichen­fahrer“ den Torf handel in der Hand, die die Preise zum Nachteil der Moorbauern bestimmten. Die Eichenfahrer fuhren auf ihren verhältnismäßig großen, geeichten Schiffen die Hamme hinauf den Moorbauern entgegen und nahmen ihnen den bis dahin auf kleinen Kähnen transportierten Torf ab. Um den Zwischenhandel mit den Eichenfahrern zu umgehen, versuchten die Moorbauern ihren Torf selbst in der Stadt zu verkaufen. Für die beschwerliche Kahnreise nach Bremen und zurück ins Moor, das mühselige Umladen des Torfs auf gemietete Wagen in der Stadt und den Verkauf von Haus zu Haus brauchten die Moorbauern mehrere Tage. Viel Zeit ging ihnen dadurch verloren für die Kultivierung ihrer Anbaustellen. Durch die Fertigstellung des Oste-Hamme-Kanals konnten die Findorfer und Koiheimer ihren Torf auch nach Bremervörde bringen. Als im Jahr 1846 die Glasfabrik „Marienhütte“ in Geestdorf-Gnarrenburg und im Jahr 1857 die Glasfabrik „Carlshütte“ in Karlshöfen angelegt und ihre Schmelzöfen mit Torf beheizt wurden, konnte von da an der meiste Torf auch in der Nähe abgesetzt werden.

©1981 – Werner Quell

Der Kirchbau zu Gnarrenburg

Bei der Anlage der Moordörfer wurde auch an die notwendigsten kulturellen Bedürfnisse der Siedler gedacht. Es wurden Kirchen und Schulen gebaut. Findorff, dem die seelsorgerische Versorgung der Moorsiedler ein wichtiges Anliegen war, wurde auch in Kirchenbaufragen zu einem unentbehrlichen Fachmann. Er baute die Kirchen zu Worpswede, Grasberg und Gnarrenburg. Bis zum Jahr 1790 mußten die Findorfer und Koiheimer den langen Weg zur Kirche nach Kuhstedt antreten. Unter welchen Schwierigkeiten sie ihre Toten dorthin brachten, schildert die Findorfer Schulchronik: „Es wurde eine möglichst lange Stange der Länge nach über den Sarg gebunden. Vorne und hinten so viele Träger als Platz hatten, und dann ging die Reise los durch Moräste und Wasserläufe, über die schwankende Moordecke hinweg, während der Sarg an der Stange hängend hin- und herschwankte.“7) Um den Siedlern den beschwerlichen Weg zur Kirche abzukürzen, entschloß sich die Regierung auf Vorschlag Findorffs zu einem Kirchenbau in Gnarrenburg. Im Jahr 1784 wurde der Grundstein auf dem höchsten Punkt einer Anhöhe in Gnarrenburg gelegt. 1786 war der Rohbau fertig. Bis dahin gab es jedoch zahlreiche Hindernisse zu überwinden, über die Findorff schrieb: „Bei allen in meiner 40jährigen Dienst-Zeit unter Händen gehaltenen zum Teil be­trächtlichen Bauen habe ich keinen mit so vieler Sorge und Mühe begleitet gewesenen Bau geführet, wie so viele wiedrige Zufälle erlebt, als bei den Kirchen-Bauen zu Grasberg und Gnarrenburg in den verwichenen beiden Jahren, welche wegen der beispiellosen schlechten Sommerwitterung bekannt sind und deren Folgen in mehrerenBetracht für Menschen und Länder ein trauriges Denkmal bleiben werden.“ s) Die Einweihung der Kirche fand am 28. September 1790 statt. Einen Turm hatte die Kirche zu jener Zeit noch nicht. Neben der Kirche stand ein einfaches Holzgerüst, in dem eine kleine Betglocke aufgehängt war. Zu den ersten vier Kirchenvorstehern der neuen Kirchengemeinde gehörten Cord Meyer aus Findorf und Harm Tietjen aus Kolheim.

©1981 – Werner Quell